Ich mach's trotzdem mal und zwar: Einen meiner Romane hier vorstellen. Diesen hier habe ich vor ungefähr einem Jahr fertiggestellt und das hier sind die ersten zwei Seiten. Falls irgend jemand ihn lesen sollte und eine Meinung dazu hat, schreibt doch mal einen Kommentar...ich komm mir schon so vor, als würde das hier kein Schwein lesen....*snif*
Aaaaalso...ahem....*räusper* Vorhang auf für:
As long as my wings keep flapping
Januar 2005
1
Jodie
Das heiße Duschwasser rann über meinen Körper und vermischte sich mit den Tränen, die meine Wangen herabliefen. Warum ich? Warum muss das mir passieren? Ich schloss die Augen und ließ das Wasser über mein Gesicht prasseln. So schön warm…»Wie lange willst du denn noch da drin bleiben, Jodie? Andere Menschen wollen schließlich auch mal irgendwann duschen«. Sophias herablassende Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. Ich drehte die Dusche noch weiter auf und hielt meinen Kopf direkt darunter. Und unterdrückte ein Schluchzen. Als ich circa eine Viertelstunde später aus dem Badezimmer kam, stand Sophia schon vor der Tür und wartete mit einem Handtuch auf dem Arm. »Na endlich. Ich dachte schon, du kommst nie mehr heraus«, sagte sie unfreundlich. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, zu reagieren, sondern deutete einfach wortlos auf die geöffnete Badezimmertür. »Na, du hättest ja wenigstens mal das Fenster aufmachen können. Jetzt ist die Luft total stickig und heiß«, beschwerte sich Sophia, doch ich hörte kaum noch hin. In meinem Schlafzimmer ließ ich mich rücklings auf das große Bett fallen, dessen linke Seite unbenutzt und gemacht war. Eine welkende Rose lag auf dem Kissen. Ich sah zur Decke hinauf und versuchte, mein Denken abzustellen. Doch es war nicht möglich. Immer wieder glitten meine Gedanken in die Vergangenheit zurück.
Ich hatte Robert in einer Bar nach einem seiner Konzerte kennen gelernt. Das lag nun acht Jahre zurück. Doch diese acht Jahre kamen mir vor wie ein halbes Leben. Meine Freundin Mira hatte mich gebeten, sie zu einem Klavierkonzert zu begleiten, da unsere andere Mitbewohnerin Laura eine Grippe bekommen hatte und den Tag in Gesellschaft von einer Maxipackung Taschentücher und einigen Aspirin im Bett verbrachte hatte.
Sommer 1996
»Aber ich interessiere mich nicht einmal für Klassik«, wandte ich ein. »Ja, ich weiß«, seufzte Mira. »Aber du bist die Einzige, die heute Abend Zeit hat. Wenn du eh nichts vorhast, kannst du doch auch mitkommen. Es wäre schade, die Karte verfallen zu lassen. Jetzt komm schon«, bat sie und hielt mir die Karte hin. »Also gut«. Ich nahm ihr die Karte ab. Klavierkonzert, stand da in großen Frakturbuchstaben. Robert Cain stand darunter. »Robert Cain? Nie gehört«, sagte ich und steckte die Karte in die Gesäßtasche meiner Jeans, um mich wieder dem Abendessen zuzuwenden, das ich gerade zubereitete. »Nie gehört? Er ist einer der bekanntesten Pianisten von ganz Amerika. Er ist fast so berühmt wie Richard Clayderman und du sagst, du kennst ihn nicht?«. Mira war entsetzt und fuhr sich durch ihre kurzen, schwarzen Locken. Mira kam aus Spanien, genauer gesagt aus Málaga und ihr Temperament war ziemlich feurig. Sie war klein und drahtig und ihre dunklen Augen hatten schon so manchen Mann um den Verstand gebracht. »Nun reg dich doch nicht so auf. Immerhin weiß ich noch, wer Robbie Williams ist«, scherzte ich und warf eine gehackte Zwiebel in die Pfanne, woraufhin es laut zu zischen begann. »Robbie Williams«, wiederholte Mira abfällig, »ist überhaupt kein Vergleich zu Robert Cain. Weißt du eigentlich, wie gut der Typ aussieht?«. Sie lächelte und kniff mich spielerisch in den Arm. »Der ist bestimmt genau nach deinem Geschmack«. Ich zuckte die Schultern und wendete die Zwiebelstückchen. »Mal sehen«. »Ach Jo«, sagte Mira und schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Es wird Zeit, dass du mal wieder einen Kerl in dein Leben lässt. Du wirst immerhin bald dreißig! Wie lange ist das jetzt noch mal her mit…wie hieß er noch gleich…Pablo?«. Ich drohte ihr mit dem Kochlöffel. »Erwähne diesen Namen nicht! Es sind jetzt drei Jahre und meinetwegen könnten es auch gerne mehr sein«. Mira lachte. »So ist’s richtig! Der Kerl war ein Idiot«. Ich kippte die Zwiebelstückchen auf einen Teller und legte das Fleisch in die Pfanne. »Ja. Da hast du wohl recht«. Mira schwieg eine Weile, ehe sie erneute ansetzte zu sprechen. »Und da wäre noch was…«. Ich sah sie kurz an. »Was denn?«. »Tja, also…nach dem Konzert wollte ich noch in so eine Bar, denn ich habe gehört, Mr. Cain geht immer nach seinen Konzerten dorthin, wenn er in New York ist«. Ich grinste und wendete das Fleisch. »Du bist unverbesserlich, Mira-Schatz«. Sie grinste auch. »Na ja, was soll ich sagen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt«. Wir lachten beide. »Setz dich doch schon mal hin, das Essen ist gleich fertig«, sagte ich, während ich die restlichen Erbsen und Wurzeln vom gestrigen Abendessen in die Pfanne gab. Nach etwa fünf Minuten war ich fertig, allerdings waren die Erbsen und Wurzeln ein wenig angebrannt. Ich schaffte es nie, sie rechtzeitig herauszunehmen. »Ich bringe eben unserer armen kranken Maus was rauf und dann können wir essen«, sagte ich und ging mit einem Teller zu Lauras Zimmer hinauf. »Klopf klopf«, sagte ich und öffnete die Tür. Laura sah sich eine Sendung im Fernsehen an und lächelte ein wenig, als ich hereinkam. »Wie geht’s dir?«. »Beschissnd«. »Na dann…hier, ich hab dir was zu essen hochgebracht«, sagte ich und stellte den Teller neben dem Bett ab. »Dange schönd«, sagte sie und schniefte. »Ndu schaffsd es auch ndie, die Erbsn nichd anbrenn zu lassnd«, fügte sie hinzu und lachte, worauf gleich ein Hustenanfall folgte. »Na ja, guten Appetit und gute Besserung«, sagte ich im Hinausgehen. »Ich geh nachher mit Mira zu diesem Konzert. Sie hat mich überredet«, erklärte ich. »Alles glar. Wiel Schbaß«, sagte Laura und nieste, als ich die Tür schloss. Mira haute schon kräftig rein. »Wir müssen uns ein wenig beeilen. Es fängt um acht Uhr an und ich will nicht zu spät kommen«, sagte sie mit vollem Mund und unterstrich ihre Aussage, indem sie mit ihrer Gabel auf die Uhr deutete. Ich sah hoch. »Ach, wir haben doch noch mindestens zwei Stunden Zeit«, beruhigte ich sie und nahm einen Bissen. »Es wird voll sein. Ich will auf keinen Fall etwas verpassen«, sagte Mira und piekte ein Stückchen Fleisch auf ihre Gabel. »Schmeckt gut. Auch wenn die Erbsen ein wenig angebrannt sind«, sagte sie kauend. »Nun hackt doch nicht alle auf meinen Erbsen herum. Ich mag sie so«, sagte ich trotzig. »Ist doch nur Spaß«, erwiderte Mira.
Vor dem Konzertsaal war es noch voller, als Mira erwartet hatte. »Mann, der Typ muss ja wirklich berühmt sein«, sagte ich bewundernd. »Hab ich doch gesagt«, meinte Mira. »Aber über sein Privatleben ist fast gar nichts bekannt. Er lebt ziemlich zurückgezogen und zieht nicht gern den Medienrummel auf sich. Ich weiß nur, dass seine Frau vor einigen Jahren verstorben ist. Seitdem ist er solo«. Ich war immer noch begeistert von dem riesigen Andrang. »Die Karten müssen ein Vermögen gekostet haben«. Mira schniefte gespielt. »Mein halbes Monatsgehalt. Aber das ist es mir wert. Verstehst du jetzt, warum ich die Karte nicht verfallen lassen wollte?«. Ich nickte. »Ja. Vielleicht wird es ja doch noch ein schöner Abend. Obwohl ich eigentlich vor dem Fernseher gammeln und mich mit Chips voll fressen wollte, so wie jeden Samstag«, sagte ich. »Dann ist es mein Verdienst, wenn du keine fette Tonne wirst. Geht das hier eigentlich gar nicht mehr vorwärts?«. Es ging. Allerdings sehr langsam. Nach etwa einer Stunde Wartezeit in der Menge waren wir endlich drinnen. Der Konzertsaal war riesig. Und so beeindruckend. Auf der großen Bühne stand ein schwarzglänzender Flügel. Fast jeder Platz war besetzt. Mira und ich saßen zwar ziemlich weit hinten, hatten aber einen guten Blick auf die Bühne. »Ich hab ein Fernglas mitgebracht«, sagte Mira. »Dann können wir besser sehen«. »Gute Idee«. Ich sah auf die Uhr. »Es ist schon kurz nach acht. Wann fängt es denn endlich an?«. Mira zuckte die Schultern. »Müsste eigentlich jeden Moment losgehen. Hast du dein Handy ausgestellt?«. Ich nickte. »Klar«. Wir sahen uns eine Weile im Saal um. Die Decke war immens hoch und wo man auch hinsah waren Menschen. Hauptsächlich Frauen. Aber auch viele alte Leute. Eigentlich bestand das Publikum aus so ziemlich allen Altersschichten. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, das sich schließlich zu begeisterten Jubelrufen und Klatschen entwickelte. »Da kommt er, da kommt er«. Mira hibbelte auf ihrem Stuhl herum und schaute angestrengt durch das Fernglas. Ich konnte das Gesicht von Mr. Cain nicht ganz erkennen. Ich konnte nur sehen, dass er ziemlich groß war, schlank und gut gebaut. Seine Haare waren schwarz und kurz. »Er sieht so gut aus«, seufzte Mira. »Nun reg dich mal wieder ab. Gib mir auch mal das Fernglas«, bat ich. Mira reichte es mir und ich sah hindurch. Mr. Cain winkte ein wenig der Menge zu und lächelte. Eine Reihe strahlend weißer Zähne kam zum Vorschein. Sein Gesicht war schön geschnitten und seine Augen strahlend blau. Wenn er lächelte, konnte man kleine Grübchen auf seinen Wangen ausmachen. Er sah gut aus, ja, das musste ich zugeben. Aber er war nicht mein Typ. »Und?«. Ich sah zu Mira hinüber, die mir das Fernglas fast aus der Hand riss. »Wie findest du ihn?«. »Joa, von der Bettkante stoßen würde ich ihn nicht«, sagte ich grinsend, »aber eigentlich ist er nicht mein Typ«. »Um so besser«, sagte Mira. Allmählich legte sich die Unruhe im Saal und es wurde still, als Mr. Cain sich an den Flügel setzte. »Das ist ein Steinway«, flüsterte Mira mir zu. »Das sind die allerbesten«. Ich zuckte die Schultern. »Kann schon sein. Du weißt doch, ich verstehe nichts davon. Ich war noch nie besonders musikalisch«, flüsterte ich zurück. »Ja, scht jetzt«, sagte Mira und ich blickte gespannt auf die Bühne. Im Saal war es jetzt so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als Mr. Cain schließlich zu spielen begann, war ich wie verzaubert. Die Musik klang so wunderschön. Denn auch, wenn ich selbst nie Musik gemacht hatte, ich liebte sie. Ich stand eigentlich auf Jazz und R’n’B. Klassik hatte mich nie interessiert. Aber das hier…es war so schön, dass ich lächelnd dasaß, die Augen geschlossen und lauschte. Mr. Cain spielte an jenem Abend auch modernere Stücke, aber das meiste war klassisch. Als das Konzert nach zwei Stunden und zwei Zugaben schließlich zu Ende war, wünschte ich, es wäre ewig weitergegangen. Ich sah Mira an, die ebenso verzückt lächelte wie ich. »Hat es…dir gefallen?«, fragte sie mit rauer Stimme. »Gefallen ist nicht das richtige Wort«, sagte ich abwesend und zwinkerte mehrmals. »Es war…grandios«. »Ja, nicht wahr? Es war noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte«. Ich nickte zustimmend. »Der Mann ist ein Gott, was das Klavierspielen angeht«. Mira lachte. »Sieht so aus, als hätte ich dich auch mit dem Cain-Virus angesteckt«. Ich lachte ebenfalls und erhob mich, um meine Kostümjacke anzuziehen. Es war ein warmer Sommerabend und als wir aus den Konzertsaal heraustraten, blickten wir in einen wunderschönen Sternenhimmel. Mira atmete tief ein. »Hach, war das herrlich«. »Und wo ist jetzt diese Bar, zu der du noch wolltest?«, fragte ich. »Gehen alle seine Fans dahin? Dann wird es verdammt voll werden«, sagte ich. Mira schüttelte den Kopf. »Mhmhm. Das ist ein Geheimtipp«, sagte sie mit verschwörerischem Unterton. »Na dann sollten wir darauf achten, dass uns niemand folgt«, scherzte ich. Witzelnd und gut gelaunt spazierten wir durch die laue Sommernacht.
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Jodie
Das heiße Duschwasser rann über meinen Körper und vermischte sich mit den Tränen, die meine Wangen herabliefen. Warum ich? Warum muss das mir passieren? Ich schloss die Augen und ließ das Wasser über mein Gesicht prasseln. So schön warm…»Wie lange willst du denn noch da drin bleiben, Jodie? Andere Menschen wollen schließlich auch mal irgendwann duschen«. Sophias herablassende Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. Ich drehte die Dusche noch weiter auf und hielt meinen Kopf direkt darunter. Und unterdrückte ein Schluchzen. Als ich circa eine Viertelstunde später aus dem Badezimmer kam, stand Sophia schon vor der Tür und wartete mit einem Handtuch auf dem Arm. »Na endlich. Ich dachte schon, du kommst nie mehr heraus«, sagte sie unfreundlich. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, zu reagieren, sondern deutete einfach wortlos auf die geöffnete Badezimmertür. »Na, du hättest ja wenigstens mal das Fenster aufmachen können. Jetzt ist die Luft total stickig und heiß«, beschwerte sich Sophia, doch ich hörte kaum noch hin. In meinem Schlafzimmer ließ ich mich rücklings auf das große Bett fallen, dessen linke Seite unbenutzt und gemacht war. Eine welkende Rose lag auf dem Kissen. Ich sah zur Decke hinauf und versuchte, mein Denken abzustellen. Doch es war nicht möglich. Immer wieder glitten meine Gedanken in die Vergangenheit zurück.
Ich hatte Robert in einer Bar nach einem seiner Konzerte kennen gelernt. Das lag nun acht Jahre zurück. Doch diese acht Jahre kamen mir vor wie ein halbes Leben. Meine Freundin Mira hatte mich gebeten, sie zu einem Klavierkonzert zu begleiten, da unsere andere Mitbewohnerin Laura eine Grippe bekommen hatte und den Tag in Gesellschaft von einer Maxipackung Taschentücher und einigen Aspirin im Bett verbrachte hatte.
Sommer 1996
»Aber ich interessiere mich nicht einmal für Klassik«, wandte ich ein. »Ja, ich weiß«, seufzte Mira. »Aber du bist die Einzige, die heute Abend Zeit hat. Wenn du eh nichts vorhast, kannst du doch auch mitkommen. Es wäre schade, die Karte verfallen zu lassen. Jetzt komm schon«, bat sie und hielt mir die Karte hin. »Also gut«. Ich nahm ihr die Karte ab. Klavierkonzert, stand da in großen Frakturbuchstaben. Robert Cain stand darunter. »Robert Cain? Nie gehört«, sagte ich und steckte die Karte in die Gesäßtasche meiner Jeans, um mich wieder dem Abendessen zuzuwenden, das ich gerade zubereitete. »Nie gehört? Er ist einer der bekanntesten Pianisten von ganz Amerika. Er ist fast so berühmt wie Richard Clayderman und du sagst, du kennst ihn nicht?«. Mira war entsetzt und fuhr sich durch ihre kurzen, schwarzen Locken. Mira kam aus Spanien, genauer gesagt aus Málaga und ihr Temperament war ziemlich feurig. Sie war klein und drahtig und ihre dunklen Augen hatten schon so manchen Mann um den Verstand gebracht. »Nun reg dich doch nicht so auf. Immerhin weiß ich noch, wer Robbie Williams ist«, scherzte ich und warf eine gehackte Zwiebel in die Pfanne, woraufhin es laut zu zischen begann. »Robbie Williams«, wiederholte Mira abfällig, »ist überhaupt kein Vergleich zu Robert Cain. Weißt du eigentlich, wie gut der Typ aussieht?«. Sie lächelte und kniff mich spielerisch in den Arm. »Der ist bestimmt genau nach deinem Geschmack«. Ich zuckte die Schultern und wendete die Zwiebelstückchen. »Mal sehen«. »Ach Jo«, sagte Mira und schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Es wird Zeit, dass du mal wieder einen Kerl in dein Leben lässt. Du wirst immerhin bald dreißig! Wie lange ist das jetzt noch mal her mit…wie hieß er noch gleich…Pablo?«. Ich drohte ihr mit dem Kochlöffel. »Erwähne diesen Namen nicht! Es sind jetzt drei Jahre und meinetwegen könnten es auch gerne mehr sein«. Mira lachte. »So ist’s richtig! Der Kerl war ein Idiot«. Ich kippte die Zwiebelstückchen auf einen Teller und legte das Fleisch in die Pfanne. »Ja. Da hast du wohl recht«. Mira schwieg eine Weile, ehe sie erneute ansetzte zu sprechen. »Und da wäre noch was…«. Ich sah sie kurz an. »Was denn?«. »Tja, also…nach dem Konzert wollte ich noch in so eine Bar, denn ich habe gehört, Mr. Cain geht immer nach seinen Konzerten dorthin, wenn er in New York ist«. Ich grinste und wendete das Fleisch. »Du bist unverbesserlich, Mira-Schatz«. Sie grinste auch. »Na ja, was soll ich sagen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt«. Wir lachten beide. »Setz dich doch schon mal hin, das Essen ist gleich fertig«, sagte ich, während ich die restlichen Erbsen und Wurzeln vom gestrigen Abendessen in die Pfanne gab. Nach etwa fünf Minuten war ich fertig, allerdings waren die Erbsen und Wurzeln ein wenig angebrannt. Ich schaffte es nie, sie rechtzeitig herauszunehmen. »Ich bringe eben unserer armen kranken Maus was rauf und dann können wir essen«, sagte ich und ging mit einem Teller zu Lauras Zimmer hinauf. »Klopf klopf«, sagte ich und öffnete die Tür. Laura sah sich eine Sendung im Fernsehen an und lächelte ein wenig, als ich hereinkam. »Wie geht’s dir?«. »Beschissnd«. »Na dann…hier, ich hab dir was zu essen hochgebracht«, sagte ich und stellte den Teller neben dem Bett ab. »Dange schönd«, sagte sie und schniefte. »Ndu schaffsd es auch ndie, die Erbsn nichd anbrenn zu lassnd«, fügte sie hinzu und lachte, worauf gleich ein Hustenanfall folgte. »Na ja, guten Appetit und gute Besserung«, sagte ich im Hinausgehen. »Ich geh nachher mit Mira zu diesem Konzert. Sie hat mich überredet«, erklärte ich. »Alles glar. Wiel Schbaß«, sagte Laura und nieste, als ich die Tür schloss. Mira haute schon kräftig rein. »Wir müssen uns ein wenig beeilen. Es fängt um acht Uhr an und ich will nicht zu spät kommen«, sagte sie mit vollem Mund und unterstrich ihre Aussage, indem sie mit ihrer Gabel auf die Uhr deutete. Ich sah hoch. »Ach, wir haben doch noch mindestens zwei Stunden Zeit«, beruhigte ich sie und nahm einen Bissen. »Es wird voll sein. Ich will auf keinen Fall etwas verpassen«, sagte Mira und piekte ein Stückchen Fleisch auf ihre Gabel. »Schmeckt gut. Auch wenn die Erbsen ein wenig angebrannt sind«, sagte sie kauend. »Nun hackt doch nicht alle auf meinen Erbsen herum. Ich mag sie so«, sagte ich trotzig. »Ist doch nur Spaß«, erwiderte Mira.
Vor dem Konzertsaal war es noch voller, als Mira erwartet hatte. »Mann, der Typ muss ja wirklich berühmt sein«, sagte ich bewundernd. »Hab ich doch gesagt«, meinte Mira. »Aber über sein Privatleben ist fast gar nichts bekannt. Er lebt ziemlich zurückgezogen und zieht nicht gern den Medienrummel auf sich. Ich weiß nur, dass seine Frau vor einigen Jahren verstorben ist. Seitdem ist er solo«. Ich war immer noch begeistert von dem riesigen Andrang. »Die Karten müssen ein Vermögen gekostet haben«. Mira schniefte gespielt. »Mein halbes Monatsgehalt. Aber das ist es mir wert. Verstehst du jetzt, warum ich die Karte nicht verfallen lassen wollte?«. Ich nickte. »Ja. Vielleicht wird es ja doch noch ein schöner Abend. Obwohl ich eigentlich vor dem Fernseher gammeln und mich mit Chips voll fressen wollte, so wie jeden Samstag«, sagte ich. »Dann ist es mein Verdienst, wenn du keine fette Tonne wirst. Geht das hier eigentlich gar nicht mehr vorwärts?«. Es ging. Allerdings sehr langsam. Nach etwa einer Stunde Wartezeit in der Menge waren wir endlich drinnen. Der Konzertsaal war riesig. Und so beeindruckend. Auf der großen Bühne stand ein schwarzglänzender Flügel. Fast jeder Platz war besetzt. Mira und ich saßen zwar ziemlich weit hinten, hatten aber einen guten Blick auf die Bühne. »Ich hab ein Fernglas mitgebracht«, sagte Mira. »Dann können wir besser sehen«. »Gute Idee«. Ich sah auf die Uhr. »Es ist schon kurz nach acht. Wann fängt es denn endlich an?«. Mira zuckte die Schultern. »Müsste eigentlich jeden Moment losgehen. Hast du dein Handy ausgestellt?«. Ich nickte. »Klar«. Wir sahen uns eine Weile im Saal um. Die Decke war immens hoch und wo man auch hinsah waren Menschen. Hauptsächlich Frauen. Aber auch viele alte Leute. Eigentlich bestand das Publikum aus so ziemlich allen Altersschichten. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, das sich schließlich zu begeisterten Jubelrufen und Klatschen entwickelte. »Da kommt er, da kommt er«. Mira hibbelte auf ihrem Stuhl herum und schaute angestrengt durch das Fernglas. Ich konnte das Gesicht von Mr. Cain nicht ganz erkennen. Ich konnte nur sehen, dass er ziemlich groß war, schlank und gut gebaut. Seine Haare waren schwarz und kurz. »Er sieht so gut aus«, seufzte Mira. »Nun reg dich mal wieder ab. Gib mir auch mal das Fernglas«, bat ich. Mira reichte es mir und ich sah hindurch. Mr. Cain winkte ein wenig der Menge zu und lächelte. Eine Reihe strahlend weißer Zähne kam zum Vorschein. Sein Gesicht war schön geschnitten und seine Augen strahlend blau. Wenn er lächelte, konnte man kleine Grübchen auf seinen Wangen ausmachen. Er sah gut aus, ja, das musste ich zugeben. Aber er war nicht mein Typ. »Und?«. Ich sah zu Mira hinüber, die mir das Fernglas fast aus der Hand riss. »Wie findest du ihn?«. »Joa, von der Bettkante stoßen würde ich ihn nicht«, sagte ich grinsend, »aber eigentlich ist er nicht mein Typ«. »Um so besser«, sagte Mira. Allmählich legte sich die Unruhe im Saal und es wurde still, als Mr. Cain sich an den Flügel setzte. »Das ist ein Steinway«, flüsterte Mira mir zu. »Das sind die allerbesten«. Ich zuckte die Schultern. »Kann schon sein. Du weißt doch, ich verstehe nichts davon. Ich war noch nie besonders musikalisch«, flüsterte ich zurück. »Ja, scht jetzt«, sagte Mira und ich blickte gespannt auf die Bühne. Im Saal war es jetzt so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als Mr. Cain schließlich zu spielen begann, war ich wie verzaubert. Die Musik klang so wunderschön. Denn auch, wenn ich selbst nie Musik gemacht hatte, ich liebte sie. Ich stand eigentlich auf Jazz und R’n’B. Klassik hatte mich nie interessiert. Aber das hier…es war so schön, dass ich lächelnd dasaß, die Augen geschlossen und lauschte. Mr. Cain spielte an jenem Abend auch modernere Stücke, aber das meiste war klassisch. Als das Konzert nach zwei Stunden und zwei Zugaben schließlich zu Ende war, wünschte ich, es wäre ewig weitergegangen. Ich sah Mira an, die ebenso verzückt lächelte wie ich. »Hat es…dir gefallen?«, fragte sie mit rauer Stimme. »Gefallen ist nicht das richtige Wort«, sagte ich abwesend und zwinkerte mehrmals. »Es war…grandios«. »Ja, nicht wahr? Es war noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte«. Ich nickte zustimmend. »Der Mann ist ein Gott, was das Klavierspielen angeht«. Mira lachte. »Sieht so aus, als hätte ich dich auch mit dem Cain-Virus angesteckt«. Ich lachte ebenfalls und erhob mich, um meine Kostümjacke anzuziehen. Es war ein warmer Sommerabend und als wir aus den Konzertsaal heraustraten, blickten wir in einen wunderschönen Sternenhimmel. Mira atmete tief ein. »Hach, war das herrlich«. »Und wo ist jetzt diese Bar, zu der du noch wolltest?«, fragte ich. »Gehen alle seine Fans dahin? Dann wird es verdammt voll werden«, sagte ich. Mira schüttelte den Kopf. »Mhmhm. Das ist ein Geheimtipp«, sagte sie mit verschwörerischem Unterton. »Na dann sollten wir darauf achten, dass uns niemand folgt«, scherzte ich. Witzelnd und gut gelaunt spazierten wir durch die laue Sommernacht.
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